Hier mal ein Beitrag der Kollegen von edubily
Weil es so wichtig ist und weil es sicher nicht wenige Leser
interessiert, wollen wir heute nochmal kurz eine Story im Newsletter
wiedergeben. Thema: Vitamin D.
Denn „täglich grüßt das Murmeltier“ gilt auch und gerade für Vitamin D im
Winter. Jedes Jahr ab Herbst kommt es diesbezüglich zur exponentiellen
Verbreitung von Unsinn. Jeder Experte hat dann was zu sagen, jeder Influencer
sowieso.
Und meistens wird am Thema vorbeigeredet. Das Resultat ist,
dass Leser „verunsichert“ sind. Wir bekommen dann immer wieder – und jedes Jahr
die gleichen – Zuschriften von „verunsicherten“ Menschen.
Dabei ist das Thema doch einfach zu verstehen – eine Beweisführung. Kleiner Tipp:
Am besten für den nächsten Winter abspeichern, damit man die Inhalte nicht
vergisst – und jedem Freund weiterleiten, damit die noch was lernen
können.
1. Die wohl größte Meta-Analyse zu Vitamin D
… mit Blick auf Infektionserkrankungen der Atemwege kommt
zum Schluss:
Insgesamt war die durch Vitamin D induzierte Verringerung des Risikos einer akuten Atemwegsinfektion vergleichbar mit der Schutzwirkung eines injizierbaren Grippeimpfstoffs gegen grippeähnliche Erkrankungen.
Aha. Besonders ausgeprägt ist diese Schutzwirkung, wenn Menschen tiefe
Vitamin-D-Spiegel (kleiner als 25 nmol/L) auf ein höheres Niveau heben. Das
sollte man sich merken. Denn …
2. Der Deutsche ist im Winter mangelversorgt
Bestätigt das RKI. Die entsprechende hauseigene Studie aus
2015 zeigt, dass Frauen mit ca. 35 nmol/L und Männer mit 31 nmol/L im
Winter durch die Gegend laufen. Also nicht weit weg von diesen ominösen 25
nmol/L aus der obigen Studie. Im Sommer schaffen es deutsche Frauen und Männer
immerhin auf knapp 60 nmol/L. Ist das alles optimal versorgt? Fragen wir doch
mal beim RKI nach.
3. Ab wann spricht man von Mangel?
Beim RKI lässt sich nachlesen, dass man bei unter 30
nmol/L von einem echten Mangel spricht. Das sei, so das RKI, eine
„mangelhafte Versorgung mit einem erhöhten Risiko für Krankheiten wie Rachitis,
Osteomalazie und Osteoporose.“ Schön wär’s, wenn’s nur um den Knochen
ginge.
Optimale Werte erreiche man erst ab 50 nmol/L. Entsprechend weist das RKI alles
zwischen 30 nmol/L und 50 nmol/L als suboptimale Versorgung
aus. So weit, so gut. Allerdings wird international darüber diskutiert, ob
das überhaupt reicht. Bei den NIH (National Institutes of Health),
„nur“ die wohl größte Gesundheitsbehörde weltweit, und die wichtigste in den
USA, liest sich:
Werte von 50 nmol/L (20 ng/mL) oder mehr sind für die meisten Menschen ausreichend. Im Gegensatz dazu erklärte die Endocrine Society, dass für die klinische Praxis eine Serum 25(OH)D-Konzentration von mehr als 75 nmol/L (30 ng/mL) notwendig ist, um die Wirkung von Vitamin D auf den Kalzium-, Knochen- und Muskelstoffwechsel zu maximieren
Wichtig: Eine der größten medizinischen/endokrinologischen
Fachgesellschaften weltweit, die Endocrine Society, empfiehlt
also sogar 75 nmol/L. Das sind Werte, die der deutsche Durchschnitt weder
im Sommer noch im Winter erreicht.
4. Welche Zufuhr braucht man denn für gute Werte?
Man sollte sich als Nächstes fragen, welche Zufuhrmengen man täglich braucht,
um diese Zielwerte überhaupt zu erreichen. Hier geht es in erster
Linie immer noch um Erreichen adäquater Werte! Also darum, keinen Mangel zu
haben.
Diese Frage beantwortet uns eine bei Nature im European Journal of Clinical Nutr erschienene Meta-Analyse, die weltweit
Ergebnisse von Goldstandard-Studien (RCTs) ausgewertet hat:
Um eine ausreichende 25(OH)D-Konzentration (75 nmol/L) zu erreichen, lag die empfohlene VitD-Zufuhr bei 1340 und 2250 IE/Tag für Kinder und Schwangere, 2519 und 797 IE/Tag für europäische Erwachsene im Alter von 18-64 und 65-85 Jahren (…)
Die legen sich also direkt fest, und sagen: ausreichend erst ab 75
nmol/L. Und wie erreicht man das sehr wahrscheinlich?
- Kinder mit 1340 IE pro Tag
- Schwangere mit 2250 IE pro Tag
- Europäische Erwachsene unter 65 brauchen 2519 IE pro Tag
- und alten Menschen wird immerhin noch knapp 800 IE erlaubt.
Dahinter könnte man jetzt einen Punkt machen … und handeln.
So wie das beispielsweise die "Polnische Gesellschaft für pädiatrische
Endokrinologie und Diabetes und das Expertengremium unter Beteiligung von
nationalen Fachärzten und Vertretern wissenschaftlicher Gesellschaften"
getan haben. In Polen hat man 2018 einfach neue Empfehlungen rausgehauen.
Doch wir leben in Deutschland ...
5. Was unsere „Experten“ empfehlen
Damit das Ganze noch eine Prise Witz-Charakter bekommt, darf
an dieser Stelle die Meinung von deutschen „Experten“ und Behörden nicht
fehlen. Da liest man beispielsweise im Spiegel:
Die DGE-Experten hatten Dutzende Studien und Beobachtungen aus verschiedenen Ländern begutachtet. Zwar lasse sich tatsächlich ein Zusammenhang zwischen einem niedrigen Vitamin-D-Spiegel und einem erhöhten Risiko für eine Sars-CoV-2-Infektion mit einem schweren Krankheitsverlauf vermuten, heißt es in der aktuellen DGE-Fachinformation zum Thema (Stand: 11. Januar 2021). Dennoch ist das Fazit der Ernährungswissenschaftler: »Derzeit liegen keine Argumente vor, die eine Supplementation von Vitamin D bei Personen mit adäquatem Vitamin-D-Status mit dem Ziel der Prävention einer Sars-CoV-2-Infektion oder der Verringerung des Schweregrades einer Covid-19-Erkrankung begründen können.«
Halten wir fest: Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Schwere eines
Covid19-Verlaufs und schlechten Vitamin-D-Werten. Aber Handlungsbedarf sieht
man offensichtlich nicht, denn „Supplementation von Vitamin D bei Personen mit
adäquatem Vitamin-D-Status“ lässt sich nicht begründen.
Leider trifft genau das aber nicht zu. Denn in Deutschland hat
im Winter gar niemand adäquate Vitamin-D-Spiegel. Ist das noch Wissenschaft,
was die machen? Oder macht man aus Science lieber Fiction?
Noch viel schlimmer ist allerdings das BfR, also das Bundesinstitut
für Risikobewertung. Die schreiben nämlich sogar in einer aktuellen Stellungnahme:
Das Fazit: Die Einnahme hochdosierter
Nahrungsergänzungsmittel (= mehr als 2000 IE pro Tag) sei
für die Allgemeinbevölkerung unnötig und kann sich sogar nachteilig auf die
Gesundheit auswirken.
Ein kleines Schlusswort
Was bleibt da zu sagen? Da fällt mir nur eine Sache ein:
„So ein Schmarrn, so ein Scheiß, ehrlich!
Ich hab lange überlegt zuhause, ob ich überhaupt hier reinkomme oder ob ich
überhaupt was dazu sage. Aber ich bin der Meinung, da sollte man schon mal
Stellung zu nehmen und dazu was sagen.
Es ist für mich nicht nachzuvollziehen, ehrlich.
Freunde der Sonne.“
Spaß beiseite. Denn eigentlich ist das gar nicht witzig.
Hier gibt es eine unglaubliche Lücke zwischen wissenschaftlicher Realität und
Kommunikation an die Allgemeinheit seitens Behörden und Experten. Man kommt
zwangsläufig zum Schluss: Wir Deutschen wollen leiden. Wir wollen
das Opfer sein. Wir wollen alles schlecht reden. Und wir
akzeptieren in Wahrheit selbst wissenschaftlich bewiesene Tatsachen
nicht.
Da stellt sich die Frage: Wenn wir sowas schon nicht akzeptieren
und kommunizieren, wie will man in den nächsten Jahren und Jahrzehnten
präventiv tätig werden und das Gesundheitssystem entlasten? Achtung,
rhetorische Frage. Antwort nämlich: Gar nicht.
Veröffentlicht am 15.02.2021 11:56 Uhr.